Interdisziplinäre Tagungen

des DFG-Netzwerks >Linguistik & Medizin<

  • Tagung 2021 an der Universität Münster „Normvorstellungen, Normalität(en) und Normativität – Interdisziplinäre. Perspektiven auf das ‚Normale‘ in der Medizin“ >> Tagungsprogramm
  • Tagung 2019 an der Universität Paderborn „Linguistik und Medizin. Sprachwissenschaftliche Zugänge und interdisziplinäre Perspektiven“ >> Tagungsprogramm


Nähere Informationen zu den Tagungen (Call for Papers und Tagungsprogramme) finden Sie im Folgenden auch auf dieser Seite.

Normvorstellungen, Normalität(en) und Normativität

Interdisziplinäre Perspektiven auf das ‚Normale‘ in der Medizin



Das Programm zur Tagung finden Sie hier.


09.-10. September 2021, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Die Vorträge waren öffentlich und wurden über Zoom abgewickelt.

Organisation: Nathalie Bauer, Isabella Buck, Susanne Günthner, Juliane Schopf

https://centrum.sprache-interaktion.de/archiv/tagung-normvorstellungen-normalitaeten-und-normativitaet-interdisziplinaere-perspektiven-auf-das-normale-in-der-medizin

Tagungsprogramm

Call for Abstracts: Normvorstellungen, Normalität(en) und Normativität – Interdisziplinäre Perspektiven auf das ‚Normale‘ in der Medizin


Westfälische Wilhelms-Universität Münster, 08.-10.9.2021

DFG-Netzwerk >Linguistik und Medizin<, www.linguistik-medizin.net


Normalität stellt in sämtlichen anthropologischen Disziplinen ein zentrales Konzept dar – das klar zu konturieren sich insofern immer wieder als Herausforderung erweist, als Normalität gewissermaßen zwischen den Polen einer deskriptiven und präskriptiven Größe changiert: Einerseits ist normal, was in den auf dem statistischen Durchschnitt einer nach bestimmten Kategorien eingegrenzten Gesamtheit basierenden Referenzbereich fällt und andererseits, was einer normativen Setzung dessen entspricht, das in bestimmten Zusammenhängen als normal gilt. Besonders in der Medizin ist der Normalitätsbegriff von entscheidender Bedeutung, da hier das Bestimmen des Normalen als Kontrastfolie zum Abweichenden, zum Pathologischen eine zentrale Prämisse medizinischen Forschens und Handelns darstellt. Obschon die Definition des medizinisch Normalen einen zentralen Aspekt wissenschaftstheoretischer und -historischer Diskussion darstellt (u.a. Canguilhem 1974; Offer/Sabshin 1996; Groß/Steinmetzer/Müller 2008; Catita/Águas/Morgado 2020), ist der Umgang mit (verschiedenen) Normalitätsbegriffen in medizinischen Zusammenhängen nur selten Gegenstand empirischer Untersuchungen. So ist zwar hinlänglich bekannt, dass medizinische und alltagsweltliche Konzepte von Normalität mitunter stark divergieren können – doch: Was bedeutet das eigentlich für die medizinische Praxis? Wie und in welchen medizinischen Zusammenhängen sprechen wir über Normalität? Auf welche Weise werden unterschiedliche Normalitätsvorstellungen dargestellt, erklärt und ausgehandelt?


Die Linguistik bietet in ihren verschiedenen methodischen Ausrichtungen insofern eine vielversprechende Perspektiverweiterung auf Normalitätskonzeptionen in medizinischen Zusammenhängen, als sie nicht nur einen empirischen Zugang zu mitunter divergierenden Normalitätsentwürfen eröffnet, sondern auch dazu, in welchen Zusammenhängen das sprachliche Aushandeln von Normalität für Gesprächs- bzw. DiskursteilnehmerInnen selbst relevant wird. Der Mehrwert der geplanten Tagung, die im Kontext des DFG-Netzwerks „Linguistik & Medizin“ steht, besteht folglich in einer systematischen Vernetzung unterschiedlicher Perspektiven auf und methodischer Zugänge zu Normalitätskonzepten in der Medizin. Beitragsvorschläge sind für eine der drei folgenden Sektionen möglich:


(1) Normalität in medizinischen Interaktionen

Aus einer sozialkonstruktivistischen Perspektive auf Normalität (Garfinkel 1967; Sacks 1984) stellen medizinische Gespräche in mehrerlei Hinsicht einen interessanten Untersuchungsgegenstand für die Gesprächsforschung dar. Zunächst sind medizinische Gespräche als für die GesprächsteilnehmerInnen sehr unterschiedlich ‚normale‘ Gesprächsereignisse zu betrachten: Wohingegen solche Interaktionen für medizinische AkteurInnen zumeist eine hochgradig routinisierte Interaktionsform darstellen, bedeuten sie für PatientInnen nicht selten eine – wie Günthner (2017) es mit Schütz/Luckmann (1979: 171) beschreibt – Suspension der „grundlegenden Idealisierung des Lebens, [des] Und-so-weiter“, mit der ein „Abstand vom Alltag“ eintritt – und somit eine einschneidende Situation. Vor diesem Hintergrund rücken Fragen in den Fokus des Interesses, die auf die Rekonstruktion solcher Sequenzen abzielen, welche der interaktiven Herstellung eines ‚normalen‘ Gesprächs im Sinne des „doing ‚being ordinary‘“ dienen (Sacks 1984; vgl. Bergmann 1980; Frankel 1995; Maynard 2003; Bührig 2009).

Darüber hinaus sind auch solche Beiträge eingeladen, die Formen des Normalisierens als interaktive Praktik in den Blick nehmen. Insbesondere die Besprechung von Laborwerten und Testresultaten involviert oft die interaktive Herstellung einer „positiven Normalität“ (Groß 2018: 212ff.). Solche Normalisierungen sind dabei nicht immer mit der Abwesenheit von Krankheit verbunden – so werden etwa beim Sprechen über ‚normale‘ Symptome oder Krankheitsverläufe auch Normalitäten in Situationen der Anormalität, der Krankheit konstruiert (vgl. Bredmar/Linell 2008: 245ff.). In diesem Zusammenhang sollen besonders die kommunikativen Funktionen des ‚Normalisierens‘ in den Blick genommen werden, die über die Einordnung medizinischer Befunde hinaus etwa dem Trösten oder

Beruhigen entsprechen können (Heritage/Lindström 2012; Fiehler 1990).

Schließlich wird in medizinischen Gesprächen ebenfalls deutlich, dass Bedeutungsdimensionen von Normalität aus einer emischen Perspektive nicht selten inkongruent sind: Während medizinische ExpertInnen Normalität zumeist als deskriptive relationale Kategorie verwenden, umfasst Normalität als Ethnokategorie für medizinische LaiInnen zumeist auch eine evaluative Dimension im Sinne einer (sozialen) Erwünschtheit, einer Normativität (Sarangi 2001). Eingeladen sind in diesem Zusammenhang Beiträge, die sich mit der interaktiven Aushandlung solcher intersubjektiven Bedeutungsdiskrepanzen des Normalen in medizinischen Interaktionen beschäftigen.


(2) Normalität in gesellschaftlichen, kulturellen, medialen und medizinischen Diskursen

Dieses Panel beschäftigt sich mit Normalitätskonzepten, die in gesellschaftlichen, kulturellen, fachlich-medizinischen und medialen Diskursen verankert sind. Geprägt durch Foucaults (2015 [1978]) Beschreibungen von Normalität, Normalismus und Normalisierung als diskurstragende Kategorien im Bereich der Biopolitik können Normalitäten als Mechanismen begriffen werden, die Diskurse regulieren (vgl. Jäger/Jäger 2007: 61). Dabei bestimmen „abgrenzbare, situierte, bedeutungskonstituierende Ereignisse bzw. Praktiken des Sprach- und Zeichengebrauchs durch gesellschaftliche Akteure“ (Keller 2011: 58), auf welche Weise bestimmte Konzepte von Normalität im Diskurs verhandelt werden. Diesbezüglich soll unter anderem die Normativität hinsichtlich der erwähnten Normalitätskonzepte beleuchtet werden und die diskursiven Folgen einer Abweichung von gewünschter Normalität aufgezeigt werden (vgl. Klement 2008; Sinai 2008).

Damit einher geht auch die Frage, welche Zustände in medizinischen Fachdiskursen, der Gesellschaft und Kultur, dem rechtlichen Rahmen und den Medien als ‚gesund‘ und ‚krank‘ verhandelt werden und wie sich diese Zuschreibungen diachron entwickelt haben. Analysiert man somatische und psychische Normalitäten im Wandel, werden auch Machtasymmetrien und Hegemonien bestimmter Institutionen evident, die Einfluss darauf hatten und haben, was als ‚normal‘ gilt. Lenz (2018) verdeutlicht des Weiteren auch die kulturellen und religiösen Einflüsse auf Krankheits-, Gesundheits- und Normalitätskonzepte sowie die Beziehung zwischen ÄrztIn und PatientIn. Liegen in einem Kulturraum oder in bestimmten Epochen beispielsweise magisch-mystische, animistisch-dämonische und religiöse Krankheitsdeutungen vor, hat dies erheblichen Einfluss darauf, was als „normal“ betrachtet und diskursiv behandelt wird. Auch die mediale Aushandlung typischer Konzepte von Gesundheit und Krankheit sowie die qualitativ und quantitativ auswertbare Berichterstattung zu bestimmten Krankheits- und Gesundheitsbildern und Darstellungen ‚normaler‘ Krankheitsverläufe prägt den Diskurs um die Frage, was als ‚normal‘ betrachtet wird und soll hier thematisiert werden (vgl. Waldschmidt 2003, 2005). Willkommen sind Beiträge aus der historischen und sprach- bzw. kulturvergleichenden/kulturanalytischen Sprachwissenschaft sowie der Text- und Diskurslinguistik.


(3) Normalität als Prämisse in der Medizin

Schließlich soll der Blick noch dezidiert auf die Medizin und auf das sich innerhalb dieses Faches historisch und diskursiv etablierte Verständnis von Normalität gerichtet werden. Die beiden relationalen Konzepte „gesund“ und „krank“ bilden eine weitestgehend als objektive Größe betrachtete Prämisse alltäglichen klinischen Handelns (Gelhaus 2008: 48). Bereits im Medizinstudium werden die diversen gesunden, vielmehr aber noch die krankhaften Erscheinungen des menschlichen Organismus in aller Ausführlichkeit behandelt; die Grundlage der Unterscheidung zwischen „gesund“ und „krank“ erscheint im internen medizinischen Diskurs jedoch allenfalls in der Peripherie, wie MedizintheoretikerInnen kritisieren (Hucklenbroich 2008: 4). Selbst in der Labormedizin sei es nicht ohne Weiteres möglich, einen objektiven Normwert empirisch zu erfassen, da dessen Bestimmung bereits auf verschiedenen prädefinitorischen Ebenen von normativen Elementen abhänge (Sonntag 2003). Vor diesem Hintergrund stellt sich sodann die Frage nach dem „epistemischen Charakter“ (Roelcke 2015: 157) medizinischer (und freilich auch psychiatrischer) Klassifikationen. Darüber hinaus ist zu diskutieren, welchen Stellenwert der Rekurs auf Normalität im medizinischen Diskurs der Gegenwart überhaupt noch einnimmt – gerade angesichts der verstärkten Bedeutung einer präventiven Medizin. Aktuelle Diskussionen, die sich unter dem Schlagwort Human Enhancement mit der gezielten Optimierung körperlicher und kognitiver Ressourcen und Fähigkeiten auseinandersetzen, lassen die Diskussion um Normalitäten nochmals in einem neuen Licht erscheinen (Bavelier et al. 2019; Hofmann 2017). Ein letzter Punkt, der Normvorstellungen, Normalität(en) und Normativität in der Medizin tangiert, ist die Abgrenzung der traditionellen Schulmedizin zu alternativmedizinischen Strömungen wie etwa der Homöopathie. Diesbezüglich böte es sich an, eine kontrastive Perspektive einzunehmen und danach zu fragen, inwiefern sich der Kontrast zwischen Schulmedizin und komplementärer Medizin auch auf der Ebene der jeweils inhärenten Normalitätsvorstellungen manifestiert (Zemp Stutz/Buddeberg-Fischer 2004: 313).

Im Gegensatz zu den beiden zuvor angeführten Panels sind im Rahmen der Sektion „Normalität als Prämisse in der Medizin“ ausdrücklich Beiträge von MedizinerInnen selbst erwünscht (MedizinhistorikerInnen, -theoretikerInnen, -ethikerInnen, -anthropologInnen, PathologInnen etc.), die sich mit den verschiedenen Facetten des medizinischen Normalitätsbegriffs auseinandersetzen.

Literatur (Auswahl)

Bavelier, Daphne/Savulescu, Julian/Fried, Linda P./Friedmann, Theodore/Lathan, Corinna E./Schürle, Simon/Beard, John R. (2019): Rethinking Human Enhancement as Collective Welfarism. In: Nature Human Behaviour 3 (3), 204–206.

Bergmann, Jörg (1980): Interaktion und Exploration. Eine konversationsanalytische Studie zur sozialen Eröffnungsphase von psychiatrischen Aufnahmegesprächen. Dissertation vorgelegt an der Universität Konstanz.

Bredmar, Margareta/Linell, Per (2008): Reconfirming normality: The constitution of reassurance in talks between midwives and expectant mothers. In: Sarangi, Srikant/Roberts, Celia (Hrsg.): Talk, Work and Institutional Order: Discourse in Medical, Mediation and Management Settings. Berlin/New York: de Gruyter, 237–270.

Bührig, Kristin (2009): Zur sprachlich-kommunikativen Realisierung von ,Normalität’ in der Arzt-Patienten-Kommunikation. In: Döhner, Hanneli (Hg.): Medizinsoziologie in Wissenschaft und Praxis. Münster: Lit Verlag, 51–64.

Canguilhem, Georges (1974): Das Normale und das Pathologische. München: Carl Hanser Verlag.

Catita, Marisa/Águas, Artur/Morgado, Pedro (2020): Normality in medicine: A critical review. In: Philosophy, Ethics, and Humanities in Medicine 15, 1–6.

Fiehler, Reinhard (1990): Erleben und Emotionalität als Problem der Arzt-Patienten-Interaktion. In: Ehlich, Konrad (Hrsg.): Medizinische und therapeutische Kommunikation. Opladen: Westdeutscher Verlag, 41–65.

Foucault, Michel (2015 [1978]): Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität I. Vorlesung am Collège de France, 1977-1978. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Frankel, Richard (1995): Some Answers About Questions in Clinical Interviews. In: Morris, G.

H./Chenail, Richard (Hrsg.): The Talk of the Clinic: Explorations in the Analysis of Medical and Therapeutic Discourse. Hillsdale: Erlbaum, 233–267.

Garfinkel, Harold (1967): Studies in Ethnomethodology. Englewood Cliffs/NJ: Prentice Hall.

Gelhaus, Petra (2008): Wie groß ist zu groß? Zur Funktionalität des Normalen. In: Groß, Dominik/Steinmetzer, Jan/Müller, Sabine (Hrsg.): Normal – anders – krank? Akzeptanz, Stigmatisierung und Pathologisierung im Kontext der Medizin. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 33–50.

Groß, Alexandra (2018): Arzt/Patient-Gespräche in der HIV-Ambulanz. Facetten einer chronischen Gesprächsbeziehung. Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung. Groß, Dominik/Steinmetzer, Jan/Müller, Sabine (Hrsg.): Normal – anders – krank? Akzeptanz, Stigmatisierung und Pathologisierung im Kontext der Medizin. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.

Günthner, Susanne (2017): Sprachliche Verfahren bei der Übermittlung schlechter Nachrichten –sedimentierte Praktiken im Kontext onkologischer Aufklärungsgespräche. In: SpIn – Sprache und Interaktion, 1–46.

Heritage, John/Lindström, Anna (2012): Knowledge, Empathy, and Emotion in a Medical Encounter.

In: Perakyla, Anssi/Sorjonen, Marja-Leena (Hrsg.): Emotion in Interaction. Oxford: Oxford University Press, 256–272.

Hofmann, Bjørn (2017): Limits to human enhancement: nature, disease, therapy or betterment? In: BMC Medical Ethics 18.

Hucklenbroich, Peter (2008): „Normal – anders – krank“: Begriffserklärungen und theoretische Grundlagen zum Krankheitsbegriff. In: Groß, Dominik/Steinmetzer, Jan/Müller, Sabine (Hrsg.): Normal – anders – krank? Akzeptanz, Stigmatisierung und Pathologisierung im Kontext der Medizin. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 3–32.

Jäger, Margarete/Jäger, Siegfried (2007): Normalität um jeden Preis? Normalismus und Normalisierung als diskurstragende Kategorien in modernen Industriegesellschaften In: Jäger, Margarete/Jäger, Siegfried: Deutungskämpfe. Theorie und Praxis Kritischer Diskursanalyse. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 61–72.

Klement, Carmen (2008): Expertisierung oder Zementierung von „Normalität“: Gefühlsarbeit in der täglichen Arbeit der ambulanten Altenpflege. In: Rehberg, K.-S. (Hrsg.): Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Frankfurt am Main: Campus, 3276–3287.

Lenz, Petra (2018): Kulturelle und medizinhistorische Antwortversuche auf die Frage nach der Krankheit. In: Lenz, Petra (Hrsg.): Der theoretische Krankheitsbegriff und die Krise der Medizin. Wiesbaden: J.B. Metzler, 11-82.

Maynard, Douglas W. (2003): Bad News, Good News. Conversational Order in Everyday Talk and Clinical Settings. Chicago: The University of Chicago Press.

Offer, Daniel/Sabshin, Melvin (1966): Normality. Theoretical and Clinical Concepts of Mental Health. New York, London: Basic Books.

Roelcke, Volker (2015): Forschungsinstrument und Normierungsinstanz: Zur Ambivalenz psychiatrischer Klassifikationen. In: Brinkschulte, Eva/Gadebusch Bondio, Mariacarla (Hrsg.):

Norm als Zwang, Pflicht und Traum. Normierende versus individualisierende Bestrebungen in der Medizin. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang, 155–181.

Sacks, Harvey (1984): On doing „being ordinary“. In: Atkinson, J. Maxwell/Heritage, John (Hrsg.): Structures of Social Action. Studies in Conversation Analysis, 413–429.

Sarangi, Srikant (2001): Expert and lay formulation of „normality“ in genetic counselling. In: Bulletin VALS-ASLA 74, 109–127.

Schütz, Alfred/Luckmann, Thomas (1979): Strukturen der Lebenswelt. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Sinai, Alexandra (2008): Variabilität ist Normalität. Die motorische Entwicklung im ersten Lebensjahr. In: Physiopraxis 6 (07/08), 32–35.

Sonntag, Oswald (2003): Ist das normal? Das ist normal! Über die Bedeutung und Interpretation des so genannten Normalwertes. In: Journal of Laboratory Medicine 27 (7/8), 302–310.

Waldschmidt, Anne (2003): Normierung oder Normalisierung: Behinderte Frauen, der Wille zum „Normkind“ und die Debatte um die Pränataldiagnostik. In: Graumann, Sigrid (Hrsg.):

Verkörperte Technik - Entkörperte Frau. Biopolitik und Geschlecht. Frankfurt/Main/New York: Campus, 95–109.

Waldschmidt, Anne (2009): „Normalität“ und „Behinderung“ im Alltagswissen: Diskursanalyse eines Internetforums. In: SWS-Rundschau 49 (3), 314-336.

Zemp Stutz, Elisabeth/Buddeberg-Fischer, Barbara (2004): Gesundheit und Krankheit. In: Buddeberg, Claus (Hrsg.): Psychosoziale Medizin. 3. Auflage. Berlin u.a.: Springer, 307–326.

Linguistik und Medizin

Sprachwissenschaftliche Zugänge und

interdisziplinäre Perspektiven



Das Programm zur Tagung finden Sie hier.


27.-29. März 2019, Universität Paderborn

Ort: Asta Stadtcampus, Königsplatz 1, 33098 Paderborn:

https://asta.uni-paderborn.de/stadtcampus/

Tagung Linguistik Medizin 2019

Call for Papers: Linguistik und Medizin – sprachwissenschaftliche

Zugänge und interdisziplinäre Perspektiven


Universität Paderborn, 27.-29.03.2019

DFG-Netzwerk >Linguistik und Medizin<, www.linguistik-medizin.net


Körperliche wie seelische Gesundheit ist ein hohes individuelles und gesellschaftliches Gut und Grundrecht. Häufig wird die Gesundheit durch ihr Gegenteil, d.h. in der Verständigung über Krankheit, thematisiert. Der gesellschaftliche Austausch über Krankheiten, Gesundheitsrisiken und Behandlungsmethoden findet in öffentlichen Diskursen statt und ist somit untrennbar mit Sprache verknüpft. Die Sprache ist „[...] das zentrale Medium, um medizinisches Wissen herzustellen, zu systematisieren, zu tradieren und auszutauschen.“ (Busch/Spranz-Fogasy 2015a: 336).


Die sprachlich-interaktive Konstruktion medizinischen Wissens erweist sich sowohl in medizinisch-therapeutischen Gesprächen als auch in massenmedialen und digitalen Kontexten als konstitutiv für das gesellschaftliche Verständnis von Medizin und die wechselseitige Verständigung zwischen Arzt und Patient: Hier manifestieren sich mannigfaltige Verschränkungen von Fach- und Laienwissen, von unterschiedlichen Lebens- und Erfahrungsbereichen, und es werden interaktive Hürden und Aushandlungsstrategien sichtbar. Auf dem Gebiet der Arzt-Patienten-Kommunikation und in öffentlichen und fachlichen Diskursen zu diesen Themen ist z. B. relevant, wie sich therapeutisch-fachliche von alltagsweltlichen Sprachhandlungen unterscheiden; welche Bereiche der Interaktion bei therapeutischen Settings sprachlich begleitet werden und welche nicht; wie der kommunikative Austausch und die Wissensvermittlung in den traditionellen und digitalen Massenmedien, Gesundheitsforen und -blogs aus diachroner und synchroner Perspektive aussehen; oder schließlich welche Interessen im Kontext von Themen rund um Gesundheit und Krankheit in Gesprächen und Diskursen ausgehandelt werden. Dieses unmittelbare oder (massen)mediale Aushandeln von gesundheitsbezogenem und gesundheitsrelevantem Wissen wird in medizinischen Kontexten zu einer komplexen Herausforderung. Die Beteiligten bringen unterschiedliche Wissensbestände, kulturelle Hintergründe, Normvorstellungen und subjektive wie auch fachliche Theorien von Gesundheit und Krankheit mit.


Das DFG-Netzwerk >Linguistik und Medizin< wurde gegründet, um die Forschungstätigkeiten der verschiedenen linguistischen Disziplinen, die an den Verbindungslinien von „Sprache – Wissen – Medizin“ arbeiten, zu bündeln, um Ergebnisse aus Gesprächs-, Diskurs- und Korpuslinguistik zum Themenfeld „Linguistik und Medizin“ zusammenzubringen und Schnittstellen und Forschungsdesiderate, die sich daraus ergeben, zu erschließen. Auf dieser Basis soll die interdisziplinäre Anschlussfähigkeit zwischen linguistischen und medizinischen, psychiatrischen sowie salutogenetischen Forschungs-bereichen auf- und ausgebaut werden.


Zum Abschluss der ersten Vernetzungsphase lädt das Netzwerk einschlägig forschende Wissenschaftler*innen sowie Expert*innen aus der medizinisch-therapeutischen Praxis zum Austausch ein. Insbesondere sind Linguist*innen angesprochen, die sowohl an einem innerfachlichen – zwischen Diskurs-, Gesprächs- und Korpuslinguistik – als auch interdisziplinären Austausch interessiert sind und Wissenschaftler*innen aus Medizin, Psychologie und angrenzenden Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften, die zu den in den Panels angesprochenen Themen arbeiten.


Auf der Tagung sind vertiefende Panels zu ausgewählten Themen geplant, anhand derer verschiedene methodische und fachliche Zugänge diskutiert werden sollen. Vorträge und Poster zu folgenden Aspekten der sich sprachlich manifestierenden Wissenskonstitution, -transformation und -vermittlung sind insbesondere willkommen:


1) Konstituierung von Ätiologie und Verantwortung für die eigene Gesundheit/Krankheit

Sowohl in der Arzt-Patienten-Kommunikation als auch in öffentlichen Diskursen ist das Sprechen über Verantwortung für Gesundheit und Krankheit eine wichtige inhaltliche Kategorie. Verantwortung ist ein Konzept, in dem sich viele gesundheitsbezogene Themen bündeln, wie z.B. die Rolle der Ärzt*innen/Betroffenen/Gesellschaft/des Umfeldes bei der Ursache-Wirkung-Konstruktion verschiedener Krankheitsbilder; die Form und Rolle von Schuld- und Schamdiskursen; die Frage nach Agency vs. Compliance sowie danach, welche deontischen Handlungen (z.B. Empfehlung, Angebot, Ratschlag) wann und von wem vorgenommen werden.


2) Spezifik von Sprach-/Diskurshandlungen in medizinisch-therapeutischen Zusammenhängen

Texte/Gespräche sind Ausdruck einerseits von routinierten, in sozialen Kontexten erworbenen sprachlichen und nicht-sprachlichen Handlungen, andererseits sind sie von spezifischen kontextbezogenen Aufgaben und daran angepassten sprachlich-kommunikativen Lösungen geprägt. Wie vollzieht sich das Aushandeln von Mustern, Rollen und Sachverhalten im Wechselspiel zwischen Muster und Abweichung, Typischem und Individuellem; wie kann dieses Wissen für die medizinische Praxis genutzt werden?


3) Wechselwirkungen zwischen öffentlicher Kommunikation, subjektiven und fachlichen Krankheitstheorien

Subjektive Krankheitstheorien widersprechen teilweise fachlichen Diskursen, werden durch sie aber auch beeinflusst. Zugleich prägen medial-öffentliche Diskurse (z.B. über HIV/Aids, Burnout, Krebs) subjektive wie auch gesamtgesellschaftliche Wissensbestände zu spezifischen Krankheitsbildern maßgeblich mit. Beide Prozesse verändern medizinische Wissensinhalte und haben Auswirkungen auf die medizinische Praxis, etwa bezüglich der Akzeptanz bestimmter Behandlungs- und Therapieformen. In diesem Kontext ist nach entsprechenden Wechselwirkungen und der diskursiven Konstituierung medizinischen Wissens, z.B. anhand medialer Darstellungen typischer Patient*innen, zu fragen; nach Kollisionen fachlicher und allgemeiner Wissensbestände, z.B. bei alltagssprachlichen Pejorisierungen von Diagnosetermini wie schizophren; oder dem Einfluss der zunehmenden Medikalisierung medialer Diskurse.


4) ›Gesundheit‹/›Krankheit‹ und gesellschaftliche wie auch fachliche Vorstellungen von ›Normalität‹

In gesellschaftlichen Diskursen über Erkrankungen sowie in Gesprächen mit medizinischen Akteur*innen wird sprachlich-interaktiv ausgehandelt, was als krankhaft zu werten ist bzw. was als normal gilt. Normalität erweist sich als Vergleichsfolie, vor deren Hintergrund die Grenzen von Erkrankungen ex negativo abgesteckt und Erkrankte entsprechend positioniert werden. Normalität ist nicht nur ein relationales Konzept, sondern auch ein Attribut, das Individuen, der Gesellschaft oder Ereignissen/Situationen zugeschrieben werden kann (so z.B. das ‚normale’ Verhaltensmuster nach einem Trauerfall/‚normale’ Erschöpfung nach der Arbeit). Dazu stellen sich etwa die folgenden Fragen: Wird Normalität explizit oder implizit aufgerufen? Wie wird sie in Texten und Gesprächen ausgehandelt? Welche Funktionen erfüllen Verfahren der Relevanzsetzung von Normalität und Normalisierung in verschiedenen Text- und Gesprächssorten? Man denke hierbei an Arzt-Patient-Gespräche über (un)auffällige Befunde oder die öffentlich-diskursive Aushandlung, ob Beschwerden als krankheitswertig gelten oder nicht.


Einreichungen

Abstracts bitte mit der Angabe der gewünschten Panel-Zuordnung an: [email protected]

Umfang: 300 Wörter + Literatur

Dateiformat: Word- und PDF-Dokument

Einreichfrist: 01. Oktober 2018

Rückmeldungen über die Aufnahme bis: 20. Dezember 2018


Literatur (Auswahl)

Birkner, Karin (2006): Subjektive Krankheitstheorien im Gespräch, in: Gesprächsforschung – Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion, Band 7, 2006, S. 152-183 (Siehe online unter http://www.gespraechsforschung-ozs.de/heft2006/ga-birkner.pdf).

Busch, Albert/Spranz-Fogasy, Thomas (2015a): Sprache in der Medizin. In: Felder, Ekkehard/Gardt, Andreas (Hrsg.): Handbuch Sprache und Wissen. Berlin/Boston: de Gruyter, S. 335-357 (Handbücher Sprachwissen 1).

Busch, Albert/Spranz-Fogasy, Thomas (Hrsg.) (2015b): Handbuch "Sprache in der Medizin". Berlin/Boston: de Gruyter Mouton (Handbücher Sprachwissen, Bd. 11).

Felder, Ekkehard (2012): Pragma-semiotische Textarbeit und der hermeneutische Nutzen von Korpusanalysen für die linguistische Mediendiskursanalyse. In: Felder, Ekkehard/

Müller, Marcus/Vogel, Friedemann (Hrsg.): Korpuspragmatik. Thematische Korpora als Basis diskurslinguistischer Analysen. Berlin/New York: de Gruyter, S. 115-174 (Linguistik – Impulse und Tendenzen, Bd. 44).

Felder, Ekkehard (2013): Faktizitätsherstellung mittels handlungsleitender Konzepte und agonaler Zentren. In Felder, Ekkehard (Hrsg.): Faktizitätsherstellung in Diskursen. Die Macht des Deklarativen. Berlin/New York: de Gruyter, S. 13-28 (Sprache und Wissen, Bd. 13).

Liebert, Wolf-Andreas (2002): Wissenstransformationen. Handlungssemantische Analysen von Wissenschafts- und Vermittlungstexten. Berlin/New York: de Gruyter (Studia Linguistica Germanica 63).

Löning, Petra/Rehbein, Jochen (Hrsg.) (1993): Arzt-Patienten-Kommunikation. Analysen zu interdisziplinären Problemen des medizinischen Diskurses. Berlin u.a.: de Gruyter.

Nowak, Peter (2010): Eine Systematik der Arzt-Patient-Interaktion. Systemtheoretische Grundlagen, qualitative Synthesemethodik und diskursanalytische Ergebnisse zum sprach-lichen Handeln von Ärztinnen und Ärzten. Frankfurt/Main: Lang.

Schuster, Britt-Marie (2010): Auf dem Weg zur Fachsprache: Sprachliche Professio-nalisierung in der psychiatrischen Schreibpraxis (1800 – 1939). Berlin/New York: De Gruyter (Germanistische Linguistik, Bd. 286).

Spieß, Constanze (2011): Diskurshandlungen. Theorie und Methode linguistischer Dis-kursanalyse am Beispiel der Bioethikdebatte. Berlin/New York: de Gruyter (Sprache und Wissen Band 7).